Dienstag, 27. Dezember 2011

Alle Jahre wieder...

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Die Gläser klirren zusammen. Der Wein schwappt beinahe über und alle wünschen sie sich „Ein frohes Weihnachtsfest!“. Wie ich es hasse. Sie machen alle einen auf heile Welt. Tolle Familie, wir lieben uns alle und nichts und niemand kann uns etwas anhaben. Ich fülle mir ein paar Kartoffeln auf und warte darauf, dass der Krug mit der Soße bei mir angelangt ist. Während dessen füllt meine Großmutter mir einen Löffel Rotkohl auf und legt mir eine fette Keule von der Gans auf den Teller. Damit ich groß und stark werde. Dick und fett trifft es wohl eher. Denn das einzige was an dem Knochen hängt ist das reinste Fett.
Mein Vater gibt mit der Kelle ein wenig Soße über die Kartoffeln und lächelt mich an. Ich versuche es zu erwidern, aber ich bin zu verbittert, vielleicht auch zu traurig, um überhaupt eine Reaktion, die ins freundliche geht, auf mein Gesicht zu zaubern.
Ganz elegant versuche ich alles auf die Gabel zu schieben und zum Mund zu führen.
Der Abend wird lang. Sehr lang. Letztes Jahr habe ich mich dem Familientamtam ein wenig entziehen können, indem ich mit einem Freund, meinem Freund, geschrieben habe, immer ganz unauffällig. Wir sind nicht zusammen, nein ich glaube nicht, aber er ist mir wichtig. Sehr wichtig. Und daran gehe ich kaputt. Seit 4 Wochen habe ich nichts mehr von ihm gehört, nicht persönlich. Zwischenzeitlich hatte ich die absurdesten Ideen. Habe mir ausgemalt, wie er irgendwo tot liegt und wir in der Klasse weiterhin auf Friede-Freude-Eierkuchen machen. Irgendwann begann ich mir die schlimmsten Todesursachen und Unfälle auszuschmücken, bis ins kleinste Detail. Ein Freund hatte mir erzählt, er hätte ganz schlecht ausgesehen, als er am Wochenende bei ihm war. Da hatte ich mich gerade wieder ein wenig erholt von meinen Gedanken, da viel ich gleich wieder in mein Loch. Nur jedes Mal tiefer.
Immerhin wusste ich schon, dass sein Handy den Geist aufgeben hatte und er nur an einer hochgradig ansteckenden Viruskrankheit litt und auf dem Weg der Besserung war. Ich hatte gehofft, er würde zu Weihnachten ein neues Handy bekommen, sich bei mir melden, mein Leben wieder in Ordnung bringen. Aber darauf hoffte ich seit Stunden vergebens.
Es war nicht schlimm, dass er mir nicht schrieb, damit hatte ich mich abgefunden. Schlimmer war es, wenn ich den festen Glauben daran hatte, er würde sich melden, dann eine SMS kam und in mir die Hoffnung und Freude aufflammte. Diese erstarb dann ganz schlagartig, wenn ich nicht seinen, sondern den einer total nervenden, in diesem Moment einfach nur schrecklich unwichtigen, Person las. Ich fiel wieder in mein Loch und hatte das Gefühl, ich würde irgendwann darin sterben.
Bei diesen ganzen Gedanken musste ich mich zusammenreißen. Ich durfte nicht schon wieder weinen. Vor allem nicht vor meiner Familie. Die doch immer noch dachte, ich hätte ein ganz tolles Leben. Alles würde nach Plan verlaufen. ABER SO IST ES VERDAMMT NOCHMAL NICHT!
Ich war nicht die brave liebe Tochter, die irgendwann einmal Ärztin werden wollte und in Afrika AIDS bekämpfen konnte. Ich war nicht die, die einen tollen Anwalt, Architekt oder was weiß ich für einen Schnösel heiraten wollte. Ich war nicht die, die zwei Kinder haben wollte, die eine vorbildliche Erziehung genossen hatten, und mit ihrer ach so tollen Familie in einem kleinen Landhaus am Rande der Stadt wohnte. Nein so war ich nicht und ich ließ mir von niemandem vorschreiben, dass ich so sein würde.
Ich lege mein Besteck auf den Teller und bitte um Entschuldigung. Dann stehe ich auf, schiebe meinen Stuhl wieder heran und verlasse den Raum. Ich renne die Treppe hinauf und noch bevor ich die Tür hinter mir schließen kann, breche ich unter Tränen zusammen.  Ich rolle mich zusammen und stoße die Tür zu. Es kommt mir schon fast vertraut vor. Ich habe keine Angst mehr davor, an dem Weinen zu ersticken. Es ist schon Teil meines Lebens geworden. Und manchmal wünsche ich mir, ich würde daran ersticken. Mein Leben hinter mir lassen. Einfach nur weg von hier.
Aber was würde dann aus ihm werden? Er ist der einzige Grund, warum ich nicht schon zu diversen Mitteln gegriffen habe, mich einfach aus dem Weg zu räumen. Denn das Leben hat einen Sinn und meiner ist er.

4 Kommentare:

  1. Ich finds ein bisschen verwirrend, dass der eine Teil in Vergangenheit geschrieben ist. Ich weiß, das soll so sein, aber komisch ist es trotzdem :D.

    Ansonsten: Toll geschrieben, wie immer (:. Der Anfang ist ...hach, super *.*

    Saku

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  2. dein schreibstil ist echt gut.

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