Mittwoch, 9. November 2011

Cello



Ich glaube nicht an Wunder. Vielleicht an Schicksal, aber ganz ehrlich, ich weiß nicht einmal genau, was das ist. Ich weiß auch nicht, wie es sich anfühlt, vierliebt zu sein. Schmetterlinge im Bauch. So ein Gefühl, hatte ich noch nie. Vielleicht habe ich es mir auch einfach ausgeredet, da ich generell nichts von der großen Liebe halte. Vielleicht sind wir für ein, höchstens zwei, Monate zusammen und wenn er sich dann von uns trennt, beginnt das große Taschentuchwedeln. Den Schmerz kann ich mir auch sparen.
Aber eins weiß ich. Ich flirte für mein Leben gerne und nach Möglichkeit schön oft und mit vielen Jungen. Eine Dame versteht sich halt im Männer um den Finger wickeln.
Da gibt es den einen, nennen wir ihn Tom. Da schreiben wir oft SMS und reden in der Schule. Privates und Schulisches wird getrennt, obwohl so viel Gesprächsstoff über die Schule gibt es da nicht.
Er gehört zu den Typen, der wirklich Jede haben könnte, aber er wartet auf „sein Mädchen“. Ein Flirt und eine Spielerei, ja vielleicht noch ein guter Witz mit indirekter Anmache, sind ja ganz nett, aber mehr brauche ich nicht.
Dann wäre da zum Beispiel noch - nennen wir ihn - Carl.
Carl gehört zu der Sorte Jungen, die sich ihr Mädchen vielleicht aussuchen können, aber wo Charakter und Aussehen überhaupt nicht stimmen und das Gesamtpaket das reinste Grauen ist. Sein Gesicht gleicht einer Mondlandschaft (ich habe auch Pickelchen, aber man muss nicht so schrecklich aussehen) und spätestens, wenn man von seinen Wochenendaktivitäten hört, beginnt man, ihn zu verabscheuen. Ich weiß nicht warum, aber in mir ist etwas, das ihn trotzdem mag, so wie er ist.
Und neben Tom und Carl gibt es noch, ja sagen wir John. Er ist ein schwieriger Junge, auf eine ganz liebenswürdige Art. Und er ist der einzige Junge, mit dem ich nicht flirte. Ich versuche mich natürlich von meiner beste Seite zu präsentieren, aber welches Mädchen versucht das denn bitte nicht?
Er ist der Typ Junge, den ich mag. Leger gekleidet, aber trotzdem „elegant“. Er trägt so gut wie immer ein Hemd, was ich sowieso an Jungs toll finde.
Was sein Denken und Handeln angeht, werde ich oft nicht schlau aus ihm, aber ich arbeite daran. Ich kenne ihn seit knapp zweieinhalb Jahren. Wobei ich mich an das erste Jahr so gut wie überhaupt nicht erinnern kann. Solche Schutzfunktionen des Gehirns können auch lästig sein.
Auch mit ihm schreibe ich mehrmals wöchentlich SMS, manchmal bis spät in den Abend hinein. Aber die Gespräche laufen anders ab, als bei Tom. Sie sind beinahe sachlich, gelegentlich mit Witz, ernst oder erfüllt von Trauer. Wir machen auch Späße über andere, aber das steht nicht im Vordergrund. Die Nachrichten sind nicht mit Anmachsprüchen oder Flirtversuchen versehen, und wenn, dann so indirekt, dass selbst ich mir meiner nicht ganz sicher bin.
Ich weiß eine Menge über ihn, so ist sein Lieblingsbuch „ES“ von Stephen King, der Vorname seiner Mutter Gabriela, sein Hund heißt Charlie und ich kenne so ziemlich alle Termine, die John hat. Ich könnte die Liste fortführen. Ich war auch quasi hautnah dabei, als sein damaliger Hund, Teb, einen epileptischen Anfall hatte und daran starb. Ich wurde jederzeit auf dem neuesten Stand gehalten und, auch wenn ich Tiere, besonders Hunde, nicht sonderlich mag, habe ich geweint, für John. Ich habe mich gefühlt, als wäre auch ein Teil von mir weggebrochen.
Und er spielt Cello. Einmal habe ich ihn bei einer Schulaufführung spielen gehört und ich wünschte mir nur, in seinen Armen liegen zu können, bis sich meine Schutzfunktion wieder meldete, dass mehr als Freundschaft nicht drin ist.
Seitdem versuche ich akribisch jedes Konzert von ihm zu ermitteln, um mich dann in die letzte Reihe des Saals zu setzen, meine Augen zu schließen und zu träumen.
Ich habe ihn wirklich sehr gern und wenn anderen sagen, dass wir beide wie für einander geschaffen wären, dann wünsche ich mir zwar auf der einen Seite, dass es wirklich so ist, auf der anderen kann ich aber nur darüber schmunzeln, weil ich weiß, dass es nie so weit kommen würde.
Ich glaube fest daran, dass uns mehr verbindet, mehr als nur Klassenkameradschaft. Mehr als nur Freundschaft, aber ich versuche mich mit aller Gewalt dagegen zu wehren, bis er vielleicht den ersten Schritt macht und mir zeigt, dass er mich wirklich gern hat und es mir nicht immer nur sagt. Vielleicht mit einem Konzert, nur für mich, auf seinem Cello.


(Inspiriert durch "Cello" von Udo Lindenberg und Clueso und an einen sehr guten Freund gerichtet.)

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