Ich halte den kleinen gelben Becher unter die Wasseroberfläche und lasse
ihn volllaufen. Dann führe ich ihn vorsichtig bis an meine linke Schulter und das
Wasser läuft an ihr herunter. Halte den Becher wieder unter Wasser und begieße
meine rechte Schulter. Das Wasser ist viel zu kalt. Scheiße ist es kalt. Lasse
ihn wieder volllaufen und ertränke meine Schulter. Die Linke und die Rechte.
Lasse das Wasser über meine Brüste fließen und in meinen Bauchnabel. Über meinen
Kopf, Haare und Gesicht. Mein linkes Knie und über das rechte. Mir fallen die
roten Flecke an ihnen auf. Wer weiß, woher sie kommen. Ich lasse wieder Wasser
über sie laufen und es brennt ein wenig. Ertränke sie wieder und wieder und
genieße wie das Wasser über sie plätschert und jedes Mal ein kleiner Schmerz
aufflammt.
Ich schaue an mir runter und ein Schauer überläuft mich. An meinen
Schenkeln kurze, saubere Schnitte. An meinen Knien rote Flecke an denen man
schon das nackte Fleisch sieht und unwillkürlich verteilte Schnitte an den
Waden vom hastigen Rasieren. Und alles brennt. Ich pule den Schorf von meinen
Beinen ab und stochere in den Wunden herum. Das kalte Seifenwasser bohrt sich
in mich und verschwindet dann wieder. Bohrt sich tief hinein und verschwindet,
bohrt und verschwindet.
Niemand sieht die Narben und keiner wird diesen Schmerz fühlen. Nicht
einmal du. Was fühlst du überhaupt? Siehst ja nicht einmal, dass du mich kaputt
machst. Dass ich das nicht aushalten kann. Fuck. Ich hatte gedacht ich kann
das. Aber du siehst mich ja. Oder eben doch nicht. Siehst weder meine Tränen
noch die Geister in mir drin. Hast du nicht gesagt, dass du mich magst? Warum
nicht, dass du mich liebst? Hast du Angst davor? Fragst mich nicht was ich fühle
und denke. Bist du zu schwach? Hast du Angst davor? Wir stellen nur die Fragen, deren Antwort wir ertragen können. Und
würdest du sie ertragen können? Die Antwort, dass ich süchtig geworden bin von
der Versuchung?
Ich habe mich lange bemüht es auszuhalten. Und zeitweise, man war ich
glücklich. Scheiße, ja! Irgendwann hat man gelernt, das was man sich einflößt,
auch zu glauben. Und ja man, ich habe wirklich geglaubt es geht. Aber scheiße
man, nein, es geht einfach nicht. Ich falle immer wieder in dieses verfickte
Loch. Und ich kann das nicht ertragen. Ich kann es nicht aushalten dich zu
sehen und zerbreche daran, dich nicht zu sehen. Ich könnte weinen wenn ich mit
dir rede und trete um mich und schreie wie eine Verrückte, wenn ich nicht bei
dir sein kann. Was ist aus meiner Gleichgültigkeit geworden? Ich packe es
einfach nicht. Und die Narben hier werden mich erinnern. Scheiße ja. Ich hatte
doch immer gesagt ich kann das nicht. Einfach eine Klinge nehmen und ansetzen.
Aber du siehst ja, was es mit einem macht. Mit mir macht. Du mit mir machst. Wenn
man so verrückt danach ist, der Versuchung erneut zu begegnen.
Es ist nicht gelogen, wenn ich sage, dass es okay ist. Ich habe meine
innere Balance gefunden. Zwischen schreien und weinen und den Stunden des Glücklichseins.
Was ist mit morgen? Da ist Weihnachten. Nichts besonderes, eigentlich. Nur ein
weiterer trostloser Tag an dem die aufflammende Hoffnung wieder stirbt. Und mit
ihr ein bisschen Farbe aus meinen Leben geht. Aber was tut man nicht alles für
die liebe Familie und spielt ein wenig heile Welt. Weißt du, ich habe mir ein
hübsches Kleid gekauft. Auch wenn ich es nur dieses eine Mal tragen und dann
anschließend auf ewig in meinen Schrank verbannen werde, freue ich mich schon darauf
es der Welt zu zeigen. Ich werde die Narben mit Makeup abdecken und mit zwei
Strumpfhosen umhüllen, damit niemand die Fäden auf meiner Haut sieht. Es wird
niemandem auffallen, was du mit mir machst. Und keiner wird meine Tränen und
Geister sehen, weil sie alle nur auf die Geschenke und das Essen aus sind. Aber
was ist aus der Magie geworden? Wenn man sich als kleines Kind nicht mehr
beruhigen kann vor Vorfreude. Die Magie die einen zu Weihnachten einnimmt und
das Herz erwärmt. Scheiße klingt das kitschig, aber ist es nicht so? Man kann
das erst so richtig beurteilen, wenn das alles gegangen ist. Ich habe noch
nicht einmal für jeden ein Geschenk. Wahrscheinlich wird ihnen nicht einmal das
auffallen. Aber was macht das schon?
Das Wasser ist viel zu kalt, noch kälter als die Luft die mich umgibt. Und
eigentlich gibt es keinen Grund schon wieder zu weinen, denn es wird eh niemand
meine Tränen sehen. Und du würdest sie nicht einmal sehen, wenn ich direkt vor
dir stünde.
Und jetzt sag mir,
warum ich dich dennoch nicht loslassen kann.
Scheiße, der Text ist so gut. Ich sollte das ja gar nicht gut finden, aber ich kann mich so gut in dich 'reinversetzen und dann ist das auch noch so verdammt gut geschrieben. Ein Herz für dich, ja? <3
AntwortenLöschenDas ist echt der Hammer wie du schreibst!
AntwortenLöschenRespekt ;)
ich liebe es wie intensiv alles rüberkommt. darf ich fragen, ob du über dich selbst oder eine ausdachte person schreibst?
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