Ich habe mich mit allem abgefunden. Damit, dass ich dich irgendwann
hergeben muss. Damit, dass du mich nie wieder sehen wirst. Damit, dass ich dir
scheißegal bin. Damit, dass ich jetzt endgültig allein bin. Ich sage nicht,
dass ich damit leben kann oder damit klarkomme. Und ich sage auch nicht, dass
es in Ordnung ist. Ich sage nur, dass ich es verstanden habe. Nicht nur in dem
Sinn, es gehört zu haben. Nein, ich habe es begriffen, durchdacht,
verinnerlicht.
Anfangs hat die Wunde geblutet. Und keiner hat sie gesehen. Niemand hat
jemals diese Wände gesehen. Diese Welt in die ich falle, ganz unkontrolliert.
Manchmal spricht Herbert zu mir. Herbert ist auch aus dieser Welt, die nur ich
kenne. Ich weiß nicht, wie Herbert wirklich heißt. Ich habe ihm einfach diesen
Namen gegeben. Ich kenne sonst niemanden, der Herbert heißt. Somit ist er
unnahbar für mich.
Herbert lebt in der Welt, die ich Som genannt habe. Gelegentlich spricht er mit mir, wenn ich in Som bin. Und manchmal ist
seine Stimme so laut, dass ich ihn auch in der anderen, der wirklichen Welt höre. Dann erinnert er
mich an die Gesetze und Regeln die für mich gelten, auch wenn ich nicht in Som
bin. Er erinnert mich daran, dass ich mich nach dem Essen schlecht fühlen muss
und keine Gefühle zeigen darf. Zumindest nicht persönlich zeigen. Genauso wenig
wie ich die Wunde zeigen durfte. Und zum Glück hat sie niemand gesehen.
Irgendwann hat sie nicht mehr so stark geblutet, bis sie schließlich ganz
versiegte. Übrig geblieben ist eine Narbe. Ich nehme sie mit, auch in die
andere Welt, die ihr die Realität
nennt. Für euch ist sie das einzige was existiert. Wenn man es zu etwas bringen
will, darf man in eurer Welt nur diese eine Welt haben.
Ich habe niemandem von Som erzählt. Das ist eine weitere Regel. Wenn dich
jemand fragt, wie es dir geht, musst du immer die gute Maske aufsetzen. Du
musst sie belügen, damit die Gesetze eingehalten werden. Aber bevor ich es
vergesse, wird Herberts Stimme wieder lauter.
Gelegentlich kann ich von Som aus in die andere Welt schauen. Dann ist
alles grau und verschwommen. Einmal habe ich einige Tage beobachtet, wie die
Blätter von den Bäumen gefallen sind. Aber oft bleiben nur vage Umrisse, wie
wenn man durch Milchglas schauen will. Manchmal ist die Milch dicker, mal so
dünn wie Wasser.
Und dann sehe ich von außen zu, wie mein Körper irgendwo steht oder sitzt
oder liegt, bis er verkrampft. Ich kann es nicht beeinflussen, wann ich in das
Loch falle. Nach Som falle. Es passiert einfach so. Meistens dann, wenn ich
allein bin. Oder zumindest unbeobachtet. Dann wenn ich über die Narben
nachdenke. Die Narben, die für jeden unsichtbar sind, außer für Herbert und
mich. Dann denke ich an früher, an damals. Die Zeit die ich als vor Ewigkeiten bezeichne.
Es ist nicht einfach. Und jedes Mal wenn ich in Som bin, reißt die Narbe
wieder ein bisschen auf und blutet. Aber das ist okay, denn es gibt mir das
Gefühl von Wirklichkeit.
Herbert sagt mir, dass ich zu viel Zeit in dieser anderen Welt, der Realität verbringe. Wahrscheinlich hat
er Recht. In der Realität gibt es
viele Probleme, in Som ist alles ganz einfach und leicht. Aber ich kann nicht
ewig bleiben. Schließlich lebe ich auch in der anderen Welt.
Die Wände zwischen der Realität
und Som sind aus Glas, aber man kann nur aus Som hinaussehen, nicht hinein.
Manchmal finde ich die Tür in die andere Welt schneller, manchmal brauche ich länger.
Aber ich bin immer auf der Suche nach ihr. Immer unter den Blicken von Herbert.
Ich muss nach draußen, in die andere Welt, weil ich die Hoffnung habe,
dass das Loch nach Som irgendwann kleiner wird und weg ist. Dass ich irgendwann
nicht mehr falle. Weil ich die Hoffnung habe, dass ich nicht mehr nach Som
zurückkommen muss. Und vielleicht habe ich mich doch noch nicht damit
abgefunden, dass es dich nicht mehr geben wird, denn in mir drin vermisse ich
dich. In mir drin kann ich dich nicht gehen lassen, deshalb suche ich immer
wieder nach dieser Tür. Und es erinnert mich daran, dass die Blätter im Herbst
nicht fallen, weil sie wollen, sondern weil sie müssen.
wow, sehr intensiv, und sehr gut geschrieben
AntwortenLöschenmademoiselleromantiqueblog.blogspot.com
Ich würde mich riesig freuen deine meinung zu mienen texten zu hören, du bist wie ein Vorbild für mich..
Mir fehlt irgendwie der Inhalt.
AntwortenLöschenDein Text kommt mir so vor, als würdest du auf Teufel komm raus,
einen auf tiefgründig versuchen.
Nicht böse gemeint, doch irgendwie fehlt mir da was.
Wow...
AntwortenLöschenHammer
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