Sonntag, 23. Februar 2014

fliegen

Die Sonne versinkt hinter den Dächern der Stadt und der Himmel färbt sich lila. Der Ghettoblaster dröhnt Bässe und Drums durch die warme Luft und das Klirren unserer Bierflaschen durchschneidet für einen Augenblick das Zusammenspiel aus Ruhe und Musik.
Unsere Gartenstühle finden Halt auf den Kieselsteinen, die das Flachdach des Altbaus bedecken und wir sitzen mittendrin. Mittendrin in der Großstadt.
»Wenn man hier runter springt, ist man bestimmt tot, oder?« fragst du.
»Aber hundertpro.« sage ich und halte mir zwei Finger an die Schläfe und jage mir eine unsichtbare Kugel durch den Kopf. Ich lasse mich augenblicklich wie ein Stein in den Stuhl fallen und bleibe regungslos liegen.
»Und warum sperren die das Dach dann nicht ab?« fragst du wieder.
Ich löse mich aus meiner Starre und richte mich auf. Du beobachtest mich, aber ich schaue schnell wieder zu der untergehenden Sonne.
»Was weiß ich?« sage ich, nehme mir ein Bier und schlage den Flaschenkopf ein paar Mal gegen die Armlehne des Stuhles, bis der Kronkorken zwischen den Steinen landet.
»Vielleicht will man den Leuten die Freiheit lassen.« sage ich dann wie nebenbei, während sich mein Blick fest auf den Horizont heftet.
»Welche Freiheit?« fragst du mit verunsicherter Stimme und die Musik verstummt, nur um im nächsten Moment ein neues Lied über die Stadt zu schicken.
Ich stehe auf, gehe zum Rand des Daches und balanciere den kleinen Vorsprung entlang. Du machst die Musik leiser, ich lasse meine Arme über meinem Kopf schweben und wispere dann »Die Freiheit, selbst zu entscheiden.«
Ein bisschen schwanke und taumele ich, aber fange mein Gleichgewicht wieder ein. Dann schließe ich meine Augen, stelle mich auf die Zehen und drehe mich. Breite die Arme aus und drehe mich, bis es sich in meinem Kopf dreht. Ich grinse, will dass du mein Grinsen siehst und die Ironie verstehst, aber die Musik läuft weiter und nichts passiert. Und wieder halte ich mir zwei Finger an die Schläfe und reiße abrupt meine Augen auf und will sehen, wie du mich ansiehst im Schein der untergehenden Sonne, aber noch immer dreht sich alles und die Farben verstecken sich hinter dem geheimnisvollen Schwarz, welches meine Augen einfangen. Ich schwanke, aber diesmal sind da keine Balance und kein Halt. Ich höre dich schreien und die Kieselsteine knirschen, aber ich schieße mir eine unsichtbare Kugel durch den grinsenden Kopf und falle wie ein Stein.

Den Vorsprung hinunter.

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