Freitag, 20. September 2013

310712

Ich kurbele das Seitenfenster herunter und strecke meinen Kopf aus dem alten Opel hinaus. Der Fahrtwind durchwirbelt meine langen braunen Haare und raubt mir für einen Moment den Atem. An uns rauschen Bäume und Lichtungen und Schatten vorbei. Lediglich die Sonne bleibt da wo sie ist, nur langsam zu der Linie sinkend, welche uns vom Himmel trennt.
Ich lasse mich wieder in meinen Sitz sinken, lege die Hand auf das offene Fenster und schaue auf die Straße. Ich seufze und wie beiläufig bemerke ich, dass du mich kurz ansiehst, deinen Blick dann aber wieder von mir wendest. Du schiebst eine alte Kassette in den Spieler, legst deinen Finger auf einen der Knöpfe und nach scheinbarem Zögern drückst du ihn herunter und die Musik nimmt jeden Zwang von uns, uns aus dem Schweigen zu lösen. Meine Finger klopfen den Takt auf dem Plastik und dein Kopf wippt vorsichtig, kaum erkennbar, zu den schönen Worten.
Du fährst um eine Kurve und dann um eine weitere, bis die Straße nur noch geradeaus führt und sich am Horizont im zarten Blau des Himmels verläuft. Für eine kurze Zeit fahren wir direkt auf die Sonne zu, bis du bremst, den Blinker setzt und wir auf eine Kopfsteinpflasterstraße abfahren. Der Weg bildet Kurven und führt uns um Hügel und eine kleine Schafherde. Nun kurbelst auch du dein Fenster herunter und sagst leise, fast gar nicht hörbar: „Ziemlich heiß hier.“ Dann schaust du mich für den Bruchteil eines Wimpernschlags an und bevor ich dir antworten kann, drehst du das Radio lauter, bis der Knopf anschlägt.
Ich lasse meine Hand aus dem Fenster fallen und blicke an den hellblauen wolkenlosen Himmel. Ein einziger Streifen, welcher sich im Nichts verliert, schneidet das unendliche Blau in zwei Teile. Am Straßenrand stehen vermehrt Bäume und Büsche, welche auf und über die Fahrbahn ragen. Nach einigen weiteren Kurven fahren wir in einen Wald und dann dauert es nicht lange, bis wir auf einer kleinen Lichtung zum Stehen kommen.
Du stellst den Motor ab und schaust ganz abwesend in den Wald hinein. Du siehst so friedlich aus, beinahe lieblich. Du bist so wunderschön, wie du einfach ganz reglos inmitten unseres kleinen Universums sitzt. Du bist so faszinierend, dass ich es gar nicht erklären kann. Es ist ein Gefühl von tiefster Zufriedenheit, dass man alles richtig gemacht hat. Das pure Empfinden von Vollkommenheit und dem sehnlichen Wunsch, dass all dies noch länger andauert. Ewig.
Das Klicken des Kassettenspielers reißt mich zurück in unseren Opel und das Universum ist wieder graue Masse, die man nicht greifen kann und viel größer als der Raum, in dem wir uns gerade befinden, welcher eben noch alles war. Und die eben noch so klaren Gedanken sind schon nicht mehr real. Sind jetzt schon Vergangenheit und nur noch Erinnerung und lediglich Bilder in meinem Kopf.
Du löst deinen Blick von den Bäumen, die so viel Magie versprechen, und siehst mir direkt in die Augen. Du legst deinen Zeigefinger auf meine Nase, lässt ihn vorsichtig auf meinen Mund fallen. Ganz leise flüsterst du: „Ich liebe dich, du kannst es dir gar nicht vorstellen.“ und dann ziehst du deinen Finger weg und küsst mich. Nur leicht, sanft und doch ganz bestimmend. Für den Moment sehen wir uns an und lächeln. Deine Wangen sind von einem kaum erkennbaren rosé eingenommen und als du deine Augen für die Dauer eines Atemzugs schließt und um uns eine Stille liegt, die ich nicht zu beschreiben vermag, kann ich deinen Herzschlag hören und er geht viel zu schnell und dein Atem viel zu flattrig. Dann siehst du mich ganz unvermittelt an, küsst mich auf die Stirn und löst deinen Gurt. Auch ich schnalle mich ab und beinah zeitgleich öffnen wir die Türen und steigen aus dem Opel, verlassen unser kleines Universum.
Mit einem lauten Knall schließt sich deine Tür, während ich meine weit geöffnet lasse. Aus dem Kofferraum holst du unsere Tasche und wirfst sie dir über die Schulter. Als du an mir vorbei gehst, klappst du auch meine Tür zu, nimmst meine Hand und zusammen gehen wir auf die Bäume zu, die du noch eben so nachdenklich angesehen hast.
Wir steigen über Wurzeln und ducken uns vor tiefer hängenden Ästen. Ich fange einfach an zu lachen und weiß selbst gar nicht so genau warum. Du siehst mich kurz verwundert an und sagst dann unter einem Glucksen: „Du bist schon komisch!“
Durch einen winzigen Spalt, zwischen den Bäumen hindurch, kann ich die Sonne sehen, wie sie in diesem Augenblick den Horizont küsst. „Ich liebe dich“, flüstere ich gerade laut genug, damit du es hörst, während wir weiter über den dumpfen Waldboden laufen und ich die Sonne beim nächsten Schritt schon nicht mehr sehen kann.
„Ich liebe dich auch.“, sagst du und drückst meine Hand. Und als wir auf einem kleinen Hügel stehen und mein Blick auf der glitzernden Oberfläche eines Sees liegen bleibt, stockt mir für den Moment eines Wimpernschlags der Atem.
„Unglaublich, oder?“, fragst du in unser Schweigen hinein. Ich sehe dich an, küsse dich und antworte zaghaft: „Wunderschön!“ Wie auf ein geheimes Zeichen rennen wir dann beide plötzlich los und direkt auf den See zu. Als wir das Ufer erreichen, lässt du die Tasche in den Rasen fallen, schlüpfst aus deinen Schuhen und ziehst dein Shirt über den Kopf, um es ebenfalls im Gras abzulegen. Ich öffne die Riemen meiner Sandalen, stelle sie neben deine Schuhe und werfe mein Kleid über den Rucksack. Dann nimmst du erneut meine Hand und gemeinsam laufen wir auf die glitzernde Oberfläche zu. Das kühle Wasser umfasst unsere Knöchel und spritzt bis in unsere Gesichter. Es dauert nur wenige Sekunden und wir stehen bis zur Hüfte im See.
Ich lasse deine Hand los und tauche meinen Kopf unter. Einige Meter weiter strecke ich mich wieder empor und sehe dich an. Du lächelst und schließt für einen Moment deine Augen. Dann beginnst du zu lachen, gefüllt mit unendlicher Liebe, und schwimmst mir entgegen. Es sieht so schön aus, wenn du lachst. Manchmal wache ich nachts auf und das einzige, woran ich denke, ist dein Lachen. Und dann lache ich nachts selbst, weil der Gedanke so verrückt ist.
Ich beobachte die Wellen, die von deinen Armen ausgehen und sanft meinen Körper umspielen, bis du mir nah genug bist und mit den Fingerspitzen meine Schulter berührst. Du legst deine Arme um mich und ich schlinge meine Beine um deine, so dass ich beinahe schwebe. Du drückst mich ganz fest an dich und mit einer Hand hältst du meinen Kopf. Dann küssen wir uns und schon wieder ist da diese unglaubliche Ruhe um uns, die so angenehm ist.
Du streichst durch meine nassen Haare, ich lege meinen Kopf auf deine Schulter und spüre, wie das Wasser zart um mein Kinn streicht. Über uns wird der Himmel dunkel, ertränkt sich in ein schweres, dunkles Blau. Eine ganze Weile bleiben wir einfach so, ich umklammert an dir und du mit den Füßen auf dem sandigen Grund des Sees.
„Frierst du?“, fragst du mich und ich verneine mit einer leichten Kopfbewegung.
„Aber wenn dir kalt ist, sollten wir jetzt lieber raus gehen und uns abtrocknen.“, sagst du und ohne meine Antwort abzuwarten, drehst du dich langsam im Wasser und trägst mich ans Ufer. Als dir das Wasser nur noch bis zu den Knien reicht, löse ich meine Umklammerung und du streichst mir eine Strähne aus dem Gesicht. Zusammen gehen wir zu unseren Sachen und du reichst mir ein Handtuch. Während ich meine nasse Wäsche ausziehe, legst du eine Decke auf den Boden und noch eine weitere darauf. Dann trocknest auch du dich ab und ziehst dein Shirt wieder über. Langsam streife ich mein Kleid über und tapse zu der Decke. Etwas unbeholfen falle ich auf den Boden und muss lächeln. Du legst mir die andere Decke über meine Schultern und setzt dich neben mich.
„Hachja“, seufze ich und lege meinen Kopf an deine Schulter.
„Was ist denn?“, fragst du mich.
„Irgendwie sind wir so perfekt.“
„Vielleicht hast du Recht.“
„Siehst du die Sterne?“
„Weißt du, warum Elefanten so lange Rüssel haben?“
„Sie sehen irgendwie wunderschön aus, beinahe genauso perfekt wie wir.“
„Wir sind wirklich perfekt.“
„Wie die Elefanten?“
„Wie die Elefanten.“
„Warum haben sie solange Rüssel?“
„Damit sie die Giraffen küssen können.“, flüsterst du in mein Ohr und küsst mich. Dieser Moment ist genauso perfekt, wie wir es sind. Ja, so unglaublich perfekt, dass keine Emotion ihn jemals beschreiben könnte. Und dann ist da wieder dieses Gefühl von gänzlicher Zufriedenheit. Und plötzlich ist auch das Universum nicht mehr graue Masse, sondern ein erfüllter Raum um uns, der uns so viel Magie verspricht.  

Mit diesem Text habe ich bei einem Jugendliteraturwettbewerb teilgenommen und einen ersten Platz belegt.

1 Kommentar:

  1. ich glaube den Text hast du mir einmal per Email geschickt, ich erinner mich noch ein bisschen. er ist so wunderwunderschön und ich würde gern fragen wie der Wettbewerb hieß..? ♡

    mondlichtkind.blogspot.de

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