Lolita, Licht meines Lebens, Feuer meiner
Lenden.
Meine Sünde, meine Seele. Lo-li-ta:
Die Zungenspitze macht drei Sprünge den
Gaumen hinab
und tippt bei drei gegen die Zähne.
Lo. Li. Ta.
Diese
einfachen fünf Zeilen in dem schnöden Buch mit dem roten Einband faszinierten
mich. Ich hatte das Buch durch Zufall in der Bibliothek entdeckt. Der Stil des
Autors fesselte mich in der ersten Sekunde, beim ersten Wort, beim ersten Satz konnte
ich es nicht mehr aus den Händen legen. Es war etwas ganz anderes, als bei
guten Büchern, die ich kannte. Oft überragte der Inhalt und die Sprache passte
lediglich. Hier war es perfekt.
Das Buch
lag aufgeschlagen auf meinem Schoß. Immer und immer wieder
las ich diese fünf Zeilen und die zwei Absätze die folgten. Ich legte meinen
Finger auf die Seite und zählte die Zeilen. Zweiundzwanzig. Die Wörter. Einhundertundvierundfünfzig.
Ich las die Worte in Gedanken. Leise und laut. Manchmal verebbte meine Stimme
und brach mitten im Wort ab.
Ich führte
ein Glas mit Rotwein an meine Lippen und nahm einen Schluck des purpurroten
Alkohols. Purpurrot, genauso wie der Einband von Lolita.
Immer
wieder zählte ich die Zeilen und die Wörter. Immer wieder las ich den Text. Es
blieben immer gleichviele Zeilen. Zweiundzwanzig. Dieselbe Anzahl von Worten. Einhundertundvierundfünfzig.
Es blieb so, keine Veränderung. Lediglich das Flackern der schwachen Lampe.
Gelegentlich füllte ich mir Wein nach, aber die Situation blieb dieselbe. Ich
saß in meinem alten Sessel, trank Rotwein und zählte die Zeilen und die Worte
des Textes. Zweiundzwanzig. Einhundertundvierundfünfzig. Ich atmete. Ich
blinzelte. Mein Herz pumpte Blut durch meinen Körper. Ich saß ganz ruhig da.
Ich blätterte nicht die Seite um, obwohl ich den Text schon beinahe auswendig
konnte. Ich wollte nicht erfahren, wie es weiter ging. Ich wollte keine
Veränderung. Ich hasste sie. So war das schon immer gewesen. Ich hasste sie
nicht nur, ich hatte enorme Angst davor. Wenn ich mich mit dir unterhielt, dann
war es immer gleich. Ein gleichgültiges hallo, die Frage nach dem Wohlbefinden,
die Frage nach dem, was man gerade machte und dann begann das große Schweigen.
Mal hierzu und dazu noch ein Kommentar, aber im Grunde doch alles ziemlich
schnöde. Es machte mich glücklich und traurig zugleich, dass wir uns nichts zu
sagen hatten. Damals wusste ich nicht, welche Emotion stärker gewesen war. Aber
es war okay. Und wenn es nicht in Ordnung war, dann war es mir eigentlich auch
egal. Dinge, über die ich nicht reden wollte, oft auch gar nicht konnte, waren
mir dann egal. Obwohl das falsch ausgedrückt ist. Ich war der Meinung, es
könnte mir egal sein, aber innerlich hat es mich zerfressen. Ich wollte nur,
dass es so blieb, wie es war. Und damit hatte ich alles verändert. Alles kaputt
gemacht. Ich wollte nur, dass es so war wie früher, in den ersten Tagen,
Wochen, Monaten. Ich wollte die Unbefangenheit, den Leichtsinn, den
Gesprächsstoff zurück. Und das, was noch davon übrig war, wollte ich behalten.
Für dich und für mich.
Ein roter
Tropfen fiel auf die Seite. Er fraß sich durch das Papier und verschlang die
Buchstaben. Wie gebannt starrte ich auf den Fleck. Und auf Schlag, als hätte mich jemand geohrfeigt, änderte sich so ziemlich alles.
Es war wie
das, was du gesagt hattest, ich musste mich ändern. Ich konnte nicht erwarten,
dass alles so blieb, wie es war. Das hätte nicht funktionieren können. Ich
wollte kein Mitleid für meine kranke Psyche und meine elendige Kindheit haben,
aber es war ein gutes Gefühl gewesen, zu wissen… Ja, zu wissen, dass andere
sich um einen kümmerten.
Ich hatte
deine Worte vor mir gesehen, sie immer und immer wieder gelesen und geweint.
Ich hatte sie so laut und deutlich gehört, als hättest du vor mir gestanden und
mich angeschrien. Wie ein gefühlsloser Schlag ins Gesicht und ein zerreißender
Tritt in meine zerbrechliche Seele. Nur um mich endlich wach zu rütteln.
Ich hatte
gewusst, dass du Recht hattest. Ja, natürlich. Aber in diesem Moment, wo der
purpurne Wein dem Einband des Buches auf einem Mal so nah war und die Wörter in
sich aufnahm, die mir gehörten, da verstand ich es. Dieser Tropfen hatte den
Anstoß gegeben. Den Anstoß für ein Leben mit einem Lächeln.
Ich klappte
das Buch zu und schmiss es auf den Boden. Ich nahm die halbvolle Weinflasche
und lief mit ihr in die Küche. Der Wein lief die Spüle hinunter und die
restlichen Flaschen, die ich im Weinregal zu liegen hatte, stellte ich in die
Kammer hinter einen großen Karton. Vielleicht könnte ich sie an Weihnachten
verschenken. In den nächsten Tagen würde ich eine neue Birne für die Lampe
kaufen, dann bräuchte ich mich nicht mehr daran aufzuregen, so wie ich es immer getan hatte.
Ich nahm eine Flasche Wasser, setzte mich auf den Boden und lehnte mich an die Wand. Ich hob Lolita auf und strich mit dem Finger zärtlich über den Einband. Dann öffnete ich vorsichtig das Buch und blätterte bis zu dem Fleck. Und dann las ich.
Ich nahm eine Flasche Wasser, setzte mich auf den Boden und lehnte mich an die Wand. Ich hob Lolita auf und strich mit dem Finger zärtlich über den Einband. Dann öffnete ich vorsichtig das Buch und blätterte bis zu dem Fleck. Und dann las ich.
Hier, meine Damen und Herren Geschworenen,
Beweisstück Nummer eins: das, was die
Seraphim neideten,
die schlecht unterrichteten,
edelbeschwingtem Seraphim.
Sehen Sie dies Dorngeflecht.
Ich sah
noch einmal zu dem roten Fleck, dachte an deine Worte und dann blätterte ich
um. Auf eine neue Seite. Zu einem neuen Kapitel in diesem Buch und in meinem
Leben.
Sehr schön, Herzchen. Ich mag sie. Und ich habe dich lieb, aber dass weißt du. ♥
AntwortenLöschenHoppla^^ Das war das Googlekonto meiner Schwester^^ :'D Malwieder like Emi ._. ♥
AntwortenLöschendein blog ist wunderschön. wirklich.
AntwortenLöschenEinfach ein wunderbarer Text, ich lese ihn gleich zum 15mal. ♥
AntwortenLöschenDer Text ist wundervoll.
AntwortenLöschenhttp://spruso.blogspot.com/